Vorbilder
Von welchen Role-Models lassen sich modebewusste Männer heutzutage inspirieren?
James Dean und Marlon Brando waren gestern. Aber an wem oder was orientieren sich Männer heute eigentlich, wenn es um Mode geht?
Es war eine Kettenreaktion im wahrsten Sinne des Wortes. In der britischen Fernsehserie «Normal People» trug der Schauspieler Paul Mescal alias Connell 2020 eine Silberkette um den Hals. Eigentlich nur eine Requisite, die ihn im Vergleich zu seiner Freundin aus besserem Hause als eher «working class» kennzeichnen sollte. Aber «Connell’s Chain» war zu Grösserem bestimmt.
Nicht nur rückte sie durch etliche Nacktszenen häufig prominent ins Bild, vor allem verlieh sie Paul Mescal, dem gutaussehenden, hochsympathischen Iren, einen kleinen, glitzernden Bruch: ein bisschen altes Proletentum, gemixt mit neuer femininer Männlichkeit. Bald schon avancierte die Kette zur heimlichen Hauptdarstellerin der Serie, sie hatte einen eigenen Instagram-Account mit 140 000 Followern und löste einen Ansturm auf Männerkettchen bei Juwelieren und Modeschmuckanbietern aus. Wer kürzlich das US Open der Herren schaute: Ben Shelton, der 20-jährige Amerikaner, der es sensationell bis ins Halbfinale schaffte, trägt gleich zwei Modelle in der Art von Connells um den Hals.
Männer ziehen sich nach bekannten Persönlichkeit an
Film und Fernsehen lieferten schon immer modische Inspiration für das Massenpublikum. James Dean, Marlon Brando, Paul Newman, Sean Connery gelten bis heute als ewige Stilikonen, die auch bei aktuellen Modethemen (Jeans, Uhren, Sonnenbrillen) immer wieder munter aus der Schublade gezogen werden. Ihre Nachfolger heissen Brad Pitt, George Clooney, Ryan Gosling, Adam Driver.
Man glotzt die Charaktere auf der Leinwand oder dem Bildschirm schliesslich über Stunden so aufmerksam an wie sonst kaum jemanden in seinem direkten Umfeld, wo das irgendwann unangenehm auffallen würde. Die Kleidung und die Accessoires der Hauptdarsteller brennen sich geradezu in unser Gedächtnis ein und regen – bewusst oder unbewusst – mitunter zum Nachahmen an.
Die «New York Times» schrieb im Jahr 1987, Männer seien nach wie vor besonders leicht zu beeindrucken. Wann immer sie sich anzögen, versuchten sie ein Stück weit in die Rolle einer bekannten Persönlichkeit zu schlüpfen, die sie respektierten. Ein Politiker beispielsweise, dessen Ansichten sie vertreten, weswegen ihnen automatisch auch seine Anzüge gefallen.
Vor allem aber hätten sie oft Filmhelden vor Augen, die sie selbst gerne wären. Damals, Ende der Achtziger: Michael Douglas als mächtigen Börsenmakler mit ebensolchen Poweranzügen in Wall Street oder Harrison Ford als Indiana Jones. Wahrscheinlich haben Tausende von – natürlich ähnlich verwegenen – Männern in den letzten vierzig Jahren versucht, eine Lederjacke zu finden, wie «Indie» sie trägt. Irgendwann kam dann jemand auf die Idee, im Internet einen «Indiana Jones Store» mit der gesamten Garderobe einzurichten. Die neue «Indie Destiny Jacket» aus dem fünften Kinofilm ist dort ebenfalls erhältlich, wegen der hohen Nachfrage können Lieferungen allerdings gerade etwas länger dauern.
Mit dem aktuellen Streaming-boom haben sich die fiktionalen Rollenbilder noch einmal vervielfacht, erst recht, wenn sie stilistisch so gut und auffällig ausgestattet sind wie etwa der Cast von «The White Lotus». Sowohl die weiblichen wie auch die männlichen Darsteller und ihre Kleidung wurden von Fans wie Medien aufmerksam seziert. Der eher laute, spassgetriebene Cameron Sullivan aus der zweiten Staffel trug, so wusste man bald, bunte Hemden der Labels Casablanca, Gucci und Etro.
Jüngst fiel vor allem Jeremy Allen White als Carmen ‹Carmy› Berzatto in «The Bear» auf, der Serie über einen Küchenchef, deren zweite Staffel gerade auf Disney angelaufen ist. Vor einigen Wochen titelte die englische «Daily Mail» bereits: «Mach dich vom Acker, Connell’s Chain – Männer wollen jetzt das weisse T-Shirt aus ‹The Bear›!» Tatsächlich diskutierten Zuschauer seit dem Start der Serie auf Foren wie Reddit, welches Shirt der Mann denn da bloss trage. Klar, das Interesse hatte auch mit den Wuschelhaaren und Corgi-Augen des Schauspielers zu tun, aber mindestens genauso viel mit den perfekt über dem Bizeps und am Hals sitzenden Bündchen des Kleidungsstücks.
Am Ende des Tages suchen eben nur sehr wenige Männer ein knallbuntes Hawaiihemd, aber sehr viele ein gutes weisses T-Shirt. Wer es bis jetzt noch nicht mitbekommen hat: Es stammt von der deutschen Firma Merz b. Schwanen und war seit dem Start der Serie immer mal wieder vergriffen.
Lieber ein einfach zu verdauender Stil
Serien- oder Filmhelden können also nachweislich die Verkäufe ankurbeln. Gleiches erhoffen sich die Modemarken von den jeweiligen Stars und verpflichten sie für ihre Kampagnen. Der «White Lotus»-Schauspieler Murray Bartlett ist in den neusten Anzeigen für Loewe zu sehen. Der Australier Jacob Elordi, der schon durch seine Rolle in der erfolgreichen Serie «Euphoria» zum Teenie-Idol avancierte und nun im neuen Film von Sofia Coppola Elvis spielt, ist das neue Gesicht von Boss.
Timothée Chalamet, einer der begehrtesten jungen Schauspieler seiner Generation, wirbt für den Duft «Bleu de Chanel». Der 27-Jährige zeigt sich auf dem roten Teppich mal im rückenfreien Top, mal trägt er Anzug mit nackter Brust, immer wird er von Mode- und People-Magazinen dafür gefeiert.
Aber finden das beziehungsweise ihn auch andere Männer toll? Oder ist er als Typ eher, was die Marken selbst mögen und vermarkten wollen? «Timothée Chalamet sorgt mit seiner Bekanntheit sicher für Aufmerksamkeit, aber ich bezweifle, dass viele Männer wirklich seinen Look tragen wollen oder können», sagt Herbert Hofmann, Chefeinkäufer und Creative Director von Highsnobiety, der Medienplattform, die mittlerweile auch selbst Mode vertreibt. «Jemand wie Jacob Elordi wirkt da für mich deutlich inspirierender und einfacher zu verdauen, was den Stil angeht», findet Hofmann, der früher für die einflussreiche Boutique Voo Store in Berlin arbeitete.
Elordi wählt für den roten Teppich oft Anzüge mit leichtem Twist, zieht privat aber meist Jeans und Pulli oder Muscle-Shirts an und trägt dazu ganz selbstverständlich bunte Handtaschen durch die Gegend. Zurzeit hat er sein Haar zum Pilzkopf frisiert und kombiniert einen Dreitage- mit Oberlippenbart. Auch Letzteres dürfte bald Nachahmer finden.
Jörg Pilawa kommt sehr gut an
Besonders schlüssig findet Hofmann, welche Männer Prada für den Laufsteg und teilweise auch für Kampagnen castet. Jüngst etwa Jeff Goldblum, von dem einem spontan zwar kein Film der letzten Jahre einfällt, der sich aber hartnäckig auf sämtlichen, wie auch immer ermittelten Best-dressed-Listen hält. «Goldblum sieht vielleicht nicht so gut aus wie Brad Pitt – das tut der Durchschnittstyp allerdings auch nicht», sagt Hofmann. Deshalb sei er für viele greifbarer. Ausserdem wirke er smart, habe einen lockeren, fröhlichen Stil. «Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Männer gern genau so auf einer Party auftauchen würden.»
Umfragen, welche Männer eigentlich Männer selbst toll finden, gibt es erstaunlicherweise kaum. Höchstens Prominente werden gelegentlich mal nach ihren Vorbildern gefragt. Paul Mescal nennt da beispielsweise – old school – Humphrey Bogart, James Dean oder Paul Newman. Jacob Elordi reiste zum Filmfest in Venedig mit einem Baseballkäppi mit der Aufschrift «James Dean Death Cult» an. Boris Becker erklärte einmal, den Modegeschmack von George Clooney und Brad Pitt zu bewundern. Wahrscheinlich ist der nicht mehr ganz so vorbildliche Tennisstar damit nicht allein. Clooney hat seit Jahren Werbeverträge mit Omega und Nespresso. Die französische Marke Le Domaine lancierte vergangenes Jahr ein Beauty-Label mit Brad Pitt.
Ob ein Prominenter jedoch wirklich zur Marke passt und er in den Anzeigen nicht nur cool aussieht, sondern mit ihm als Aushängeschild auch die Kasse klingelt, das überlassen viele Marken längst nicht mehr dem Zufall oder dem Geschmack ihrer Marketingleute. Das Hamburger Marktforschungsinstitut Splendid Research hat in seiner Testimonial-Forschung ein Tool namens «Human-Brand-Index» entwickelt, das für seine Kunden ermittelt, wie gut ein Prominenter in einer bestimmten Zielgruppe tatsächlich ankommt.
Nicht immer sei das Ergebnis wie vorher angenommen, heisst es aus Hamburg. So werde etwa David Beckham von vielen Männern – wenig überraschend – als Modevorbild wahrgenommen, sie könnten sich auch zu einem hohen Grad mit ihm identifizieren. Allerdings erreicht der Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton noch höhere Werte als der tätowierte Ex-Fussballer. Und ganz oben steht: der deutsche TV-Moderator Jörg Pilawa.
Bekanntheit sei gut, Affinität deutlich besser, sagt auch Herbert Hofmann. «Wir sehen oft, dass ein Musiker vielleicht nur in einer bestimmten Nische populär ist, sich diese Fans aber total mit ihm identifizieren.» Umgekehrt nehme, je berühmter jemand werde, häufig der Pull-Effekt wieder ab. «Die Leute wissen doch längst, dass die grossen Stars ihre Sachen nie selbst kaufen und einen Stylisten haben, der sie anzieht.» Das sei kaum glaubhaft und viel zu weit weg von ihrem eigenen Leben.
Gleiches lässt sich bei Social-Media-Stars feststellen, die gerade für Jüngere immer häufiger als Vorbilder dienen. Je mehr Follower sie haben, desto grösser ist ihr «media value», also ihre Einschaltquote. Aber die mit der grössten Reichweite sind nicht automatisch die, die im Vergleich den höchsten Verkaufswert haben. Den generieren oft solche Influencer, die vielleicht noch gar nicht so gross sind, aber vom Publikum als besonders authentisch und glaubhaft wahrgenommen werden.
Genau deshalb sind für viele modisch interessierte Männer sogar Insider wie Herbert Hofmann Vorbilder. Männer, die sich mit Mode auskennen, aber kein unbegrenztes Budget dafür zur Verfügung haben. Die Wert auf einen guten Look legen, darin aber auch zur Arbeit gehen können. Letztlich also Männer, die gar nicht so viel anders sind als sie selbst, nur ein bisschen besser angezogen.
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Author: Tanya Zimmerman
Last Updated: 1698608522
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Name: Tanya Zimmerman
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